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HOW TO DO THINGS WITH WORLDS, 9
Das Problem der Handlungsreisenden

Optimierung: Input minimieren, Output maximieren.
In der neunten Folge unserer TV-Serie zu Modellwelten
gehen wir den Simulationen für Optimierungsvorgänge
und Logistik auf den Grund.

Liebe Handlungsreisende,

unser Problem, das Problem der bestmöglichen Verbindung einer Anzahl von Orten, ist Prototyp einer großen Klasse praktisch bedeutsamer Minimierungs- oder Maximierungsaufgaben. Und diese gleichermassen einfache wie komplexe Aufgabenstellung ist fester Bestandteil der alltäglichen Flüsse des Postfordismus: von der globalen Warenlogistik zum Entwurf von Mikrochips, vom Aufzugsdesign zur Planung von Kapitalanlagen und Kommunikationsnetzwerken. Rundherum wie innendrin wird optimiert – was dennoch immer schwerer fällt ist Handeln selbst und selbst zu handeln.
Das Raster steht, der Countdown läuft.

DiskursDisko / spiel:platz
dietheater Konzerthaus
16.12.2006 / 12.1.2007

von Ralo Mayer und Philipp Haupt in Zusammenarbeit mit Katharina Morawek, Andreas Berger / Glim (Sound), Fahim Amir, Caroline Peters, Harald Jokesch, Alex Zrinyi, Alexander Chitsazan u.a.

          

– download info-poster: pdf (5,2mb)



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Du bist in einem fensterlosen Raum, eine Art Studio. Die Szene für die Aufnahme, das Studiosetting oder was auch immer sind nur bruchstückhaft vorhanden. Du siehst allerdings einige Leute herumlaufen, dieses und jenes verändern, also nimmst du an, daß die Szene sich noch im Aufbau befindet. Der Raum ist grossteils schwarz (wahrscheinlich um kein störendes Licht zu reflektieren). Dieses Nichts wird von einer Art Raster verwaltet, ein Koordinatensystem für den Studiobetrieb, eine cartesianische Orientierungshilfe. Du erkennst, dass der Umbau des Raums, d.h. eigentlich: der Aufbau der neuen Szene, entlang dieser Hilfslinien erfolgt. Peinlich genau werden Licht, Requisiten, Stand-Ins von DarstellerInnen usw platziert. Unzählbare Konstellationen werden vor deinen Augen ausprobiert, du gehst herum und siehst dir das ganze aus unterschiedlichen Perspektiven an. Eine praktisch unendliche Zahl von Permutationen, und vielleicht fragst du dich jetzt:

Welche dieser Möglichkeiten von Raumanordnungen in ihren zeitlichen Abfolgen ist die optimale? (Und für WEN?)

 

 


Herzlich willkommen bei der heutigen Studio-Tour. In der nächsten Stunde werden sie einen kleinen Blick hinter die Kulissen der Produktion unserer beliebten Doku-Serie "HOW TO DO THINGS WITH WORLDS" werfen können. Mein Name ist Roni Layerson; ich bin die Produzentin dieser Staffel.
Im Moment zeichnen wir Teil 9 auf. Thema dieser Episode sind Optimierung und Logistik. Dies ist heute jedoch keine normale Führung durch einen normalen Studiobetrieb. Sie haben das sicher gleich beim Eingang bemerkt!
Nein, was wir heute versuchen werden, ist die Einbindung der Tour in die Produktion selbst. Sie selbst werden Teil der gläsernen Fabrik sein!
SIE SELBST werden uns heute helfen, diese Folge von HOW TO DO THINGS WITH WORLDS zu optimieren! Dazu wollen wir Sie bitten, auf den beim Eingang verteilten Clipboards Notizen zu machen. Auf den Clipboards finden Sie eine Reihe an Evaluierungsbögen, wie sie z.B. auf Optimierung und Betriebskommunikation spezialisierte Unternehmen verwenden. Ob verbal oder visuell: Ihr Feedback ist uns wichtig!

 

Die Optimierung von ökonomischen, sozialen und politischen Prozessen und die permanente Verbesserung der Simulationsmodelle, die diesen Optimierungen zugrundeliegen, diese Art des Handelns in und durch Modelle, stehen dieses Mal im Mittelpunkt unseres Interesses.

 

Logistik beschäftigt sich also mit Flüssen von Objekten, materiellen wie auch immateriellen. Wenn Sie so wollen, ist das was sie hier heute sehen werden, auch eine Illustration von Logistik: Wie wir hier versuchen, eine Episode zu drehen, die optimal über Optimierung informiert. Die dutzenden Menschen, die durch das Studio laufen, das sind Materialisierungen von Flüssen von Kameras, Mikrofonen, Filmmaterielien – aber auch von Informationen, und sogar von Gefühlen. Wir sind hier mit ganzem Herzen bei der Sache. Hier, im Studio, hier kennen wir die Ups und Downs: den Stress und die Verzweiflung, wenn Dinge nicht so laufen wie sie sollten; die permanenten Deadlines; aber wir kennen auch das Hochgefühl, wenn wir wissen, daß wir Millionen von leuten an den Schirmen einen unterhaltsamen und informativen Abend liefern werden. Just in Time.

Heute sind SIE das Optimierungsprogramm. Wir wollen Ihnen dazu auch den größtmöglichen Spielraum geben. Sie können sich hier frei bewegen, schauen Sie sich ruhig die Räumlichkeiten an, bitte stören Sie jedoch nicht den laufenden Betrieb. Und wenn Sie sich jetzt überfordert fühlen: Keine Sorge, uns geht es jedes Mal aufs Neue so.
Vergessen Sie nicht: Sie machen hier Kritik. Produktive Kritik, Performance Kritik. Und für Unternehmen, Regierungen, aber auch für NGO's und nichtkommerzielle Vereine gehört die Review ihrer eigenen Performance heute zum Alltag. Auch wenn das etwas anderes bedeutet als eine Theater-Rezension.

 

 


Wir sagen hier oft: Wir sind eine Raumstation (wenn wir mal wieder tagelang nicht rauskommen hier)
Wir bringen zwar keine Leute auf den Mond, aber auch hier arbeiten hunderte Leute im Hintergrund daran, daß Sie später eine Doku zu Optimierung sehen können. (Und heute arbeiten auch Sie mit!)
Es gibt überhaupt schon lange ein Hin- und Her zwischen Film und Raumfahrt. Nehmen wir nur mal den Countdown. Den hat Fritz Lang erfunden, für den Raketenstart in dem Film "Frau im Mond", 1929. Aber als dramatischen Effekt!

Wir haben hier die ganze Zeit auch lauter kleine Countdowns. Tick-Tick-Tick. Jede Aufnahme ein kleiner Raktetenstart: Läuft!
Aber nicht nur hier am Set, auch im größeren Massstab: Die Vorbereitungen, das Drehbuch, Die Material-Recherche, Die Postproduktion, das Marketing. Alles miteinander verzahnt. Eine kleine Maschine, aber eine die lebt. Genau wie bei anderen Unternehmungen mit komplexeren Abläufe, im Theater, oder bei Großbaustellen.
Allerdings ist dabei der Begriff des Countdowns weniger in Benutzung. Wir sprechen hier von Netzplantechnik.

 

 

 

Schon in der Antike wurden Raster beschrieben und verwendet, verschwanden jedoch im Mittelalter von der Bildfläche. Erst mit der Renaissance und der Entdeckung der Perspektive taucht das Raster wieder auf.
In den Kolonien der Neuen Welt wurde der vorgeblich leere Raum, die Terra Nullius, mit dem Koordinatensystem ein- und aufgeteilt, im Großen wie im Kleinen. Ein gutes Beispiel liefern hier die Jesuiten mit ihren Reducciones genannten Planstädten: Der räumliche Aufbau der Siedlung erfolgte rund um ein Quadrat. In dessen Mitte stand ein Glockenturm, teilte die Zeit in gleichmässige Einheiten und normierte den Tagesablauf. Die Reduktion war eine koloniale Optimierung des Menschen zu Ehren Gottes. Planstädte gab es auch in Europa, doch nur in den Kolonien konnte der Raster sein volles, raumgreifendes Potential entfalten und AUSBREITEN: das Raster kann unendlich ausgedehnt werden und damit auch den unendlichen Raum ordnen.

 

 


Bereits 1973 beschreibt Rainer Werner Fassbinder in dem 2-teiligen Fernsehfilm "Welt am Draht" Simulacron, das wichtigste Projekt im Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung. Simulacron kann, wenn es funktionsfähig geworden ist, gesellschaftliche, ökonomische und politische Vorgänge der Zukunft derart exakt voraussagen, als fänden sie hier und heute statt, als seien sie Wirklichkeit. Damit ist Simulacron zumindest für zwei Parteien interessant: für diejenigen, denen an einer Verbesserung der zukünftigen Lebensverhältnisse gelegen ist
– und für diejenigen, die sich einen Informationsvorteil gegenüber Konkurrenten versprechen.
Rund um den Protagonisten Fred Stiller, geraten allmählich jedoch die Trennlinien zwischen Realität und Simulation ins Wanken: Ein Vorgriff auf spätere Filme wie Matrix oder, in diesem Zusammenhang besonders erwähnenswert: Existenz von David Cronenberg.

 

 

 

1872 beschäftigte eine immens wichtige Frage die bessere Gesellschaft von Kalifornien: Befinden sich bei einem galoppierenden Pferd zeitweise alle vier Beine in der Luft? Edweard Muybridge, ein Landschaftsfotograf, löste das Rätsel durch den Einsatz einer Apparatur zur Serienfotografie. In den folgenden Jahren verwendete er den selben Aufbau von Kameras vor Koordinatensystemen für unzählige Bewegungsstudien von Mensch und Tier. Mit seinen Bildern von Zeit und Bewegung entwarf er eine der Grundlagen für die Studien eines anderen Amerikaners: Frederick Winslow Taylor. Dieser forderte, daß von nun an genaue Zeit-und Bewegungsstudien und exakte Aufzeichnungen der Arbeitsabläufe das Fundament der industriellen Produktion bilden sollten.

Die Wirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg zeigten jedoch die Schwachstellen des Taylorismus auf und führten zu seiner Weiterentwicklung: Es gab plötzlich weder die Zeit noch die Ressourcen, um DIE beste Methode zu ermitteln. Ebenso entwickelten sich komplexere Produktionsweisen, deren unzählige Elemente nicht mehr linear in eine vorgegebene optimale Lösung münden konnten. Man mußte improvisieren.
Im Scientific Management war der Arbeiter ein ausführendes Rädchen in einer Maschine, dass es zu instruieren und zu überwachen galt. Diese Disziplinierung und Kontrolle wurde abgelöst von neuen Formen der Produktionsoptimierung, die auf Ermächtigung und Motivation beruhten, auf der Kreativität und den Ideen jedes einzelnen wie auch auf den sozialen Dynamiken menschlicher Beziehungen.

 

Die Arbeit eines Jungen in einer Tapetenfabrik (wie es Marx beschreibt) erfordert die Koordination von Kopf und Hand, Fingern und Schultermuskulatur.
Das Endprodukt der affektiven Arbeit ist nicht eine bestimmte Quantität an Gefühlen, die wie Tapetenrollen gezählt werden können. Für eine Flugbegleiterin, z.B., ist das Lächeln Bestandteil ihrer Arbeit. Eine Arbeit die eine bestimmte Koordination von Selbst und Empfinden bedeutet, damit die Arbeit mühelos erscheint.
Das Endprodukt der affektiven Arbeit ist nicht eine bestimmte Quantität an Gefühlen, die wie Tapetenrollen gezählt werden können. Für eine Flugbegleiterin, z.B., ist das Lächeln Bestandteil ihrer Arbeit. Eine Arbeit die eine bestimmte Koordination von Selbst und Empfinden bedeutet, damit die Arbeit mühelos erscheint.

 

 

Dies ist das Zeitalter der Kreativität. Die Rolle von Managern und Produzenten wie mir ist nicht mehr Kontrolle, sondern Ermutigung – Ermutigung kreativ zu sein. Das ist das neue Managment Paradigma.
Wir alle hier arbeiten mit Gefühlen:
Der Präsentator z.B. versucht seine eigene Faszination für das Thema zu vermitteln. Der Kameramann konzentriert seine Energie darauf, diese Faszination im Frame einzufangen.
Und ich, ich bin die Seele dieses ganzen, ich halte das Team zusammen, in guten wie in schlechten Zeiten.

 

Im Studio oben werden die Infomagazine produziert. Nebenan Soaps. Unten läuft alles zusammen, in den Schnitträumen.
Klarerweise, und das ist ja auch der Reiz dieser Führung, bauen wir hier selber Modellwelten. Aber wir selbst SIND auch eine Modellwelt. Eine Welt voller phantastischer Effekte. Sehen Sie sich all die Spezialeffekte an! Und ein Welt voller Gefühle - erleben Sie unsere Spezialaffekte. MUSIK!

 

 

 

 

 

– Du meinst also, daß der Postfordismus eine 4D-Animation ist; eine Manipulation des Raum- Zeit-Kontinuums, animiert und manipuliert zur Optimierung des Profits?

– Nö, ich würde eher meinen: 5D.

– Und was ist das fünfte D, die neue Dimension?

– Das Subjekt. Du. Ich.

 

 

 

 

Das Faszinierende ist, dass man selber erschaffen kann. Das ist schon interessant. Dass man eine Welt geschaffen hat, wo man sich drinnen bewegen kann.Im Computer halt. Schon irgendwie interessant, finde ich. Also rein, dass das möglich ist.