Ullevi-Stadium, Göteborg

L’ANNÉE DERNIÈRE À GOTHENBURG...

Es ist neun Uhr Abends am 15. Juni 2001, als eine Party von Anti-EU DemonstrantInnen im Vasa-Park im Zentrum von Göteborg von schedischen Polizeikräften angegriffen wird. Am Vormittag dieses tages hatte es schon Ausschreitungen in der Einkaufsstrasse Avenyn gegeben, Sessel und eine EU-Flagge brannten, einige Schaufenster gingen zu Bruch. Innerhalb von Minuten eskaliert die Situation an der Vasagatan. Zum ersten Mal in der kurzen Geschichte der globalen Protestbewegung schiesst die Polizei scharf auf Demonstrantinnen. Einer der Getroffenen überlebt nur knapp.


Rostige Schussspur am Vasa-Park. Göteborg, März 2002

Es war der Beginn einer medialen Hysterie, die ein Monat später mit dem Tod von Carlo Giuliani beim G8-Gipfel in Genua weiterging und in ihrem Ausmass nur noch von den Ereignissen rund um den 11. September übertroffen wurde.


Vasagatan. Göteborg, 15.6.2001

Nach den Ereignissen von Göteborg erfuhren die Begriffe des "polit-hooligans" oder des "black bloc" eine mediale Inflation, die ihresgleichen suchte, das Konzept repräsentativer Gipfel wurde von offizieller Seite neu überdacht sowie Gesetzgebungen EU-weit verschärft (insbesondere auch in Verbindung mit dem 11. September).

In Schweden selbst wurden unzählige AktivistInnen festgenommen und verschiedener Formen des Aufruhrs angeklagt. Die von den Riot-Bildern in den Medien geschockte schwedische Öffentlichkeit forderte strenge Strafen, das augenscheinliche Scheitern polizeilicher Strategien blieb lange undiskutiert. Als im Herbst 2001 erste Angeklagte zu Haftstrafen verurteilt wurden, die weit über dem sonstigen Niveau vergleichbarer Tatbestände lagen, wurden massive Manipulationsversuche der Polizei bekannt: Vorgelegtes Videomaterial von den Ausschreitungen war ummontiert worden, um Verdächtige in gefilmte Straftaten "hineinzuschneiden", entlastendes Videomaterial wiederum war vernichtet worden. Das medial konstruierte Bild hatte Einzug in den Gerichtssal gehalten.


Avenyn. Göteborg, März 2002

Heute, ein Jahr später, ist der Riot-Spuk aus dem Stadtbild weggetaucht: Göteborg ist ein nordisches Juwel - prachtvolle Strassen und blühende Parklandschaften. Es scheint, als gäbe es keine Anzeichen mehr dessen, was hier passiert ist und was die schwedische Gesellschaft derart in Aufruhr versetzte... was hier vor einem Jahr an den paar Junitagen geschah, die wenigen Minuten Auschreitungen auf der Fussgängerzone, die Schüsse an der Vasagatan, sind ein unsichtbarer Layer in der Stadt. Die physischen Spuren sind beinahe gänzlich verschwunden, und doch schwebt über diesem idyllischen Bild einer 800.000 EinwohnerInnenstadt noch diese anderen urbanen Konstruktionen, die persönlichen Erlebnisse der PassantInnen, der DemonstrantInnen, der PolizistInnen. "Göteborg", das sind nicht nur die tatsächlichen Gebäude, die Parks, die Tourismuskarten, "Göteborg" ist auch der Schatten der Erinnerung, Phantome, die in den Medien ihr Unwesen treiben, die Mindmaps der Sperrlinien und Roten Zonen. Göteborg liegt an der schwedischen Westküste, doch die Karte kann auch so entfaltet werden, dass es eine Hafenstadt neben Genua ist, eine Suburb von Seattle, eine Kolonie Quebec's, durchzogen von Vektoren des gesellschaftlichem Umbruchs.

Wir zeichnen also die Karte "Gothenburg - New Babylon (Neue Serie)":
L’ANNÉE DERNIÈRE À GOTHENBURG.

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Avenyn. Gothenburg N.B., 6-2001 / 3-2002