A NEW BABYLON

Ende der Fünfziger begann Constant Nieuwenhuis mit der Konstruktion von New Babylon. Ausgehend von Ideen des Unitären Urbanismus arbeitete er die nächsten fünfzehn Jahre an Modellen, Zeichnungen und Plänen einer metabolischen Stadtutopie. New Babylon erstreckte sich über existenten Cities als Visualisierung der Subjektivitäten ihrer Bewohnerin, eine megastructure aus Fluchtlinien und Sehnsüchten, weniger architektonische Anweisung oder Abbildung als Diagramm: je nach Schwerpunkt und Aufgabe überschreiben in Constant's Skizzen Rote und Gelbe Sektoren Städte wie Amsterdam, München oder Paris.


Paris New Babylon. Constant, 1963

Seit dem Moment, der gemeinhin unter der Chiffre "Seattle" läuft, tritt die von Deleuze beschriebene "Kontrollgesellschaft" immer deutlicher aus der Dämmerung hervor: Vor unser aller Augen materialisiert sich das Regime an den Orten des Protests gegen seine Totalität, Grenzen werden in Windeseile auf- und wieder abgebaut, halbdurchlässige Membranen, die auf einem Datenpool beruhen, der sich unaufhörlich vergrössert. Gleich einem Maulwurf arbeiten diese Maschinen, tauchen an den verstreutesten Orten auf, errichten Wälle aus Containern, kommandieren Armeen aus gepanzerten Insekten. Ihre unterirdischen Gänge und Kanäle verästeln sich als dichtes Netz zwischen den Aufbrüchen und verbinden die globalen Roten Zonen durch Raum und Zeit.


Rote und Gelbe Zone beim G8-Gipfel in Genua. Empire, 2001


AktivistInnenkarte zum IMF/ Weltbank-Gipfel. Praha, 2000

Innherhalb der Festung Schengen sind die traditionellen Grenzen zwischen den EU-Ländern gefallen, Identitätskontrolle und Zutrittsverweigerung sind jedoch bei Bedarf im gesamten Territorium ausführbar. Es ist möglich, jeden Ort für ein paar Tage in eine modulare Festung zu verwandeln, mit Sperrzonen und Zugangskarten, kurz darauf strömen wieder Massen an Touristen unbehindert durch die Strassen. Mehr denn je lebt jede einzelne in einem dichten Gefüge aus flexiblen Sektoren und ineinandergreifenden Ebenen.


Barcelona N.B.: Gelber Sektor. Constant, 1963

New Babylon mit seinen Träumen von Befreiung und Subjektivität ist wahr geworden, verkehrt in seiner Ausrichtung, eine Dystopie. Was Michael Hardt und Antonio Negri in "Empire" ausführen, ist eben jenes Gebilde der Instabilität und Modularität, das allumspannende totale Netzwerk. In dieser Struktur wird das Versprechen einer unendlichen Freizeit des homo ludens als Bewohnerin von New Babylon wah: Die Fabrik wurde abgelöst von den Informationskanälen, die Arbeiterin von der Gleitzeitsubunternehmerin, das Fliessband von der immateriellen Arbeit. "Sei kreativ!", "Entwickle dich!", "Gestalte deinen Alltag selbst!" - diese revolutionären Parolen lesen wir heute eher in Stellenangeboten... Die frei modulierenden Metastrukturen New Babylons sind weniger utopisches Versprechen als drohende Wirklichkeit. New Babylon erstreckt sich bereits - kaum verhüllt - über die über den Globus verteilten Stadt-Fragmente: Genua N.B., Quebec N.B., Gothenburg N.B., ...